Zum politischen Anspruch der Oral History. Über das epistemische Schweigen und die ontologische Taubheit der Mehrheitsgesellschaft ; The Political Claim of Oral History: On the Epistemic Silence and the Ontological Deafness of the Majority Society

Zuhören ist die Kunst derer, die Oral History ausüben. Doch hören wir, was uns erzählt wird? Und können wir die Stimmen jener, die wir interviewt haben, adäquat (re)präsentieren? Dieser implizite politische Anspruch der Oral History wird in diesem Artikel mithilfe empirischer Fallstudien kritisch befragt. Anhand von Interviewsammlungen zur niederländischen (post)kolonialen Geschichte und zur Geschichte der ungarischen Roma wird gezeigt, wie das zu untersuchende gesellschaftliche Phänomen bereits in der Forschungssituation selbst sichtbar wurde, dass nämlich Lebenserzählungen marginalisierter R... Mehr ...

Verfasser: Immler, Nicole
Kovacs, Eva
Dokumenttyp: Artikel
Erscheinungsdatum: 2022
Verlag/Hrsg.: Institut für Qualitative Forschung
Internationale Akademie Berlin gGmbH
Schlagwörter: Oral History / Framing / epistemic injustice / Biografieforschung / othering / subaltern studies / Roma-Genozid / niederländische Kolonialgeschichte / Ungarn / biographical research / Roma genocide / Dutch colonial history / Hungary
Sprache: Deutsch
Permalink: https://search.fid-benelux.de/Record/base-27025629
Datenquelle: BASE; Originalkatalog
Powered By: BASE
Link(s) : http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/3745

Zuhören ist die Kunst derer, die Oral History ausüben. Doch hören wir, was uns erzählt wird? Und können wir die Stimmen jener, die wir interviewt haben, adäquat (re)präsentieren? Dieser implizite politische Anspruch der Oral History wird in diesem Artikel mithilfe empirischer Fallstudien kritisch befragt. Anhand von Interviewsammlungen zur niederländischen (post)kolonialen Geschichte und zur Geschichte der ungarischen Roma wird gezeigt, wie das zu untersuchende gesellschaftliche Phänomen bereits in der Forschungssituation selbst sichtbar wurde, dass nämlich Lebenserzählungen marginalisierter Randgruppen stets auch von der Wissensproduktion der Mehrheitsgesellschaft abhängig waren. Wir untersuchen die Dynamik zwischen den Interviewer*innen und den Interviewten, um zu verdeutlichen, welches Framing es uns erlaubt, Stimmen (nicht) zu hören, und wir analysieren damit das epistemische Schweigen und die ontologische "Taubheit" einer Gesellschaft. Als Resümee werden alternative methodische Zugangsweisen aufgezeigt und es wird dafür plädiert, dass partizipative Forschung auch epistemische Forschung sein muss. Unser zentrales Anliegen ist es nicht, das "Fremde", sondern das "Eigene" und dessen ontologische Ausschlussmechanismen deutlicher zu markieren und als wichtiges zukünftiges Forschungsfeld auf die Agenda zu setzen. ; Listening is the art of those who practice oral history. But do we hear what we are told? And can we adequately (re)present the voices of those we have interviewed? In this article, we critically examine this implicit political claim of oral history with the help of empirical case studies. Using interview collections on Dutch (post)colonial history and on the history of Hungarian Roma, we show how the social phenomenon under investigation already became visible in the research situation itself, namely that life narratives of marginalized people were always dependent on the knowledge production by the majority. We explore the dynamics between interviewers and interviewees in order to clarify which ...